2008-04-29

Für Polizei war Fritzl ein «perfekter» Mensch

29. April 2008, Update 17:44 – Von Norbert Mappes-Niediek
Tagesanzeiger Schweiz
Für Polizei war Fritzl ein «perfekter» Mensch (oben verlinkt zum Artikel)

Bisher stellen sich Österreichs Behörden im Fall Amstetten nicht einmal Fragen. Doch die Diskussion über ihre Rolle wird kommen.
«Unglaublich», «unfassbar» - in Österreich ist der schwere Inzestfall von Amstetten, wo ein Vater seine Tochter 24 Jahre lang einsperrte und sieben Kinder mit ihr zeugte, das unumstrittene Thema Nummer 1. Aber die Frage, ob sich ausser Josef Fritzl noch andere schuldig gemacht haben, kommt kaum aufs Tapet.
Geschieht es doch einmal, wird hart zurückgeschossen. «Selbst ernannte Experten» sollten «den Mund halten», schallte es dem bekannten deutschen Kriminologen Christian Pfeiffer entgegen, als er den Behörden im Interview mit dem Wiener «Standard» vorwarf, sie seien «leichtgläubig» gewesen. Die Wut in den Chaträumen gilt aber nicht den Ämtern, sondern vor allem dem «krampfhaften Versuch, Schuldige zu finden». In Leserbriefen fallen auch nationale Töne gegen «den Deutschen, der uns Österreich erklären will». Österreich komme langsam in den Ruf des US-Bundesstaates Montana, wo ebenfalls die abwegigsten Verbrechen stattfänden, rügte der Wiener Gerichtspsychiater Reinhard Haller.
Nicht nur die Behörden, auch lokale Experten versichern immer wieder, dass niemand von dem unglaublichen Geschehen im Keller etwas habe bemerken können. Zu ersten kritischen Nachfragen in den Medien analysierte die landesweit bekannte Psychologin Rotraut Perner, jetzt trete halt eine «Rachephase» ein. Die gipfle in der Frage: «Wie kann man jemandem etwas anhängen?» Einen Missbrauchsverdacht, so Perner, habe man «damals» nicht unterstellen können, da das Thema erst später überhaupt öffentlich geworden sei. Es handle sich eben um einen «beispiellosen Fall», sagte Bezirkshauptmann Hans-Heinz Lenze, dem in Amstetten alle wichtigen Behörden, auch das Jugendamt, unterstehen. Josef Fritzl sei ein «genialer Verbrecher», der ein «perfektes Doppelleben» geführt habe.
Niederösterreichs Polizeichef Franz Prucher wagte sogar die Behauptung, der 73-jährige Fritzl sei «ein perfekter Mensch». Als «gut erzogen» hatte schon am Sonntag ein Polizeisprecher die drei Kinder bezeichnet, die oben in der Wohnung leben durften. «Sehr brav» seien sie, sagte nun Lenze und konkretisierte. Die Frage, ob die Behörden vielleicht einem ungewöhnlich strengen Familienvater einen Vertrauensvorschuss gewährten, ist bisher tabu. Jede Diskussion über Schuld, so der Anwalt der Opfer, sei «verfehlt».
Nicht einmal eine Akte
Trotzdem lässt sich absehen, dass die Behörden eine Debatte über ihre Rolle nicht werden vermeiden können. Drei Kinder waren in den Neunzigerjahren angeblich vor dem Haus von Josef Fritzl «aufgetaucht». Eines der drei Kinder konnten die Grosseltern, Josef und Rosemarie Fritzl, formal adoptieren. Formal war es ein «Findelkind», denn die Mutterschaft war nirgends festgestellt. Das Amt bereitete dem energischen Familienpatriarchen gefällig den Weg. Beim zweiten Kind wurde, anders als sonst in Pflegefällen üblich, kein behördlicher Pfleger bestellt - schliesslich galt das Kind ja als in der weiteren Familie lebend. Beim dritten Fall hat das Jugendamt nicht einmal eine Akte, wie der Gerichtspräsident jetzt enthüllte. Auch die «regelmässigen Besuche einer Sozialarbeiterin», von denen Behördenchef Lenze sprach, sind aus den Akten nicht nachvollziehbar.

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